Jesus hatte auch keine Plätzchen
Eine kleine Weihnachtsprovokation
Als die Stunde der Niederkunft gekommen war, legte Maria sich in ihr hohes Kissen zurück und wählte entspannt die Nummer der Hebamme, denn es sollte eine Hausgeburt werden. Das Kinderzimmer im dem hübschen Einfamilienhaus in bester Wohnlage erstrahlte schon seit Wochen in zartem Blau. Josef blickte seine Frau lächelnd an und griff selig in die Plätzchendose, denn es war Weihnachten. —
April, April! Alles falsch! War gar keine Hausgeburt! Maria und Josef mussten doch nach Bethlehem, um sich zählen zu lassen. Also noch einmal:
Die gepflegte Limousine im gedeckten Farbton brachte das hochheilige Paar direkt zum Rollfeld, denn die Stunde der Niederkunft war nah. Das Aussteigen war für Maria beschwerlich und Josef stützte sie fürsorglich, als sie in froher Erwartung die Treppe zur Maschine hinaufstieg. Erschöpft ließ sie sich in den samtigen Sitz des Privatjets fallen und winkte durch das kleine Fenster beglückt der jubelnden Menge, während ihre andere Hand nach der Plätzchendose tastete, denn es war Weihnachten. —
Und? Gleich gemerkt? Stimmt wieder alles nicht! Kein Privatjet! Maria und Josef mussten auf einem Esel nach Bethlehem reiten. Also noch einmal:
Als Maria und Josef nach einem langen und beschwerlichen Ritt auf dem Esel endlich in Bethlehem angekommen waren, fand Josef mit Hilfe seines neuen Smartphones mühelos das Hotel mit den Top-Bewertungen, das er im Internet gebucht hatte. Das geschulte Personal erkannte sofort, dass die Stunde der Niederkunft nah war, und hielt alle Aufregung und allen Lärm von Maria fern. Noch ehe Maria auch nur danach fragen konnte, reichte der junge Page ihr die Plätzchendose, denn es war Weihnachten. —
Genug jetzt? Nicht lustig? Okay: Kein Luxushotel, sondern ein erbärmlicher Stall als Notquartier. Unhygienisch, unbequem, kalt. Ganz allein bei der ersten Geburt. Keine liebliche Erstausstattung für das Baby, nur grobe Windeln. Das bisschen Wärme kommt von Ochs und Esel, und der erste Besuch ist auch nicht gerade standesgemäß für einen Sohn Gottes. Und wer denkt, jetzt wird endlich alles besser, sieht ein kleines Kind auf der Flucht, in Armut, das dem Massaker knapp entkommt, von wegen Familienidylle.
Und jetzt kommen wir. Mit unserem Weihnachtsstress. Und klagen wie jedes Jahr über das Plätzchenbacken und Geschenkekaufen, die Feiern sind einfach zu zahlreich und das viele fette Essen kann doch wohl auch nicht gesund sein. Dabei wollen wir doch nur ein bisschen Besinnlichkeit. Einfach nur ein bisschen Frieden und Besinnlichkeit. Mal wieder Sterne basteln mit den Kindern. Weihnachtslieder bei Kerzenschein. Ganz schlicht eben, denn den ganzen Konsumstress will doch keiner.
Und dann sitzt das Kind, das 365 Tage im Jahr nicht genug kriegt, nicht dankbar verklärt zwischen tonnenweise zerissenem Geschenkpapier.
Die Ehe, die längst nur noch auf dem Papier besteht, will nicht so recht harmonisch sein.
Und die Verwandtschaft, die den Rest des Jahres schlecht übereinander spricht, schweigt gar unfriedlich unterm Tannenbaum.
Wer jetzt noch über den Tellerrand schaut, dem kann schon mal die Gans im Halse steckenbleiben bei all der Armut in der Welt, die uns doch sonst auch so herzlich wenig interessiert.
Und der Krieg, zum Glück ja ganz weit weg, der passt doch so gar nicht zu einem gelungenen Fest. Können die nicht mal einen Tag aufhören mit ihrer Gewalt? Wenigstens an Weihnachten. Ist das zu viel verlangt?
Und dann frage ich mich, ob wir eigentlich noch zu retten sind.
Wer um Himmels willen hat uns auf die Idee gebracht, Weihnachten könnte friedlich sein und perfekt.
Als hätte sich die Welt seit Jesu Geburt verbessert.
Als hätte sich die Menschheit seit Jesu Geburt zum Guten verändert.
Könnte es sein, dass das Licht der Welt seit mehr als 2000 Jahren unter uns wohnt, und wir hätten es noch immer nicht erkannt?
Das Problem sind nicht die Plätzchen.
Jesus hatte auch keine Plätzchen.
(SN 12/2014)
Bitte lesen Sie dazu auch den Blogbeitrag „Kekse“ von Rainer Haak (http://glaubenssplitter.com/ ),
der den Anstoß zum obigen Text gegeben hat.